Bericht belastet Habeck in Northvolt-Pleite — U-Ausschuss droht
Was Deutschlands neue Rolle im Welthandel bedeutet – verständlich, relevant, auf den Punkt. Von TOM SCHMIDTGEN Mit LAURA HÜLSEMANN und ROMANUS OTTE Im Browser anzeigen oder hier anhören. TOP-THEMEN — Robert Habeck droht ein Untersuchungsausschuss wegen Northvolt. Der Bericht, der den Ex-Wirtschaftsminister belastet, liegt POLITICO exklusiv vor. — Trump will die Zölle gegen Europa offenbar […]
Was Deutschlands neue Rolle im Welthandel bedeutet – verständlich, relevant, auf den Punkt.
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Von TOM SCHMIDTGEN
Mit LAURA HÜLSEMANN und ROMANUS OTTE
TOP-THEMEN |
— Robert Habeck droht ein Untersuchungsausschuss wegen Northvolt. Der Bericht, der den Ex-Wirtschaftsminister belastet, liegt POLITICO exklusiv vor.
— Trump will die Zölle gegen Europa offenbar nur für Quoten erleichtern. Berlin und Brüssel fürchten einen schlechten Deal.
— Die Stromsteuer sinkt nur für die Industrie und Agrarwirtschaft. Wir analysieren, welche Überraschungen noch in den Haushaltsplänen lauern.
Guten Morgen und willkommen bei Industrie und Handel — heute schlägt die Stunde des Parlaments: Der alte Wirtschaftsminister muss vor dem Ausschuss aussagen, die neue Ministerin im Plenum.
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THEMA DES TAGES |
LETZTE CHANCE: Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck ist heute um 14 Uhr vor den Haushaltsausschuss geladen. Die Abgeordneten wollen wissen, wieso das BMWK Northvolt Steuergeld gab — kurz bevor der schwedische Batteriehersteller pleite ging. Findet Habeck keine Antworten, droht ein U-Ausschuss.
Dokument: Im Vorfeld wurde der bisher unveröffentlichte PwC-Bericht (hier) — beauftragt von Habeck, um Northvolt vorab zu prüfen — an die Abgeordneten verschickt. Tom Schmidtgen liegt er vor.
Darum geht es: Der Bund und Schleswig-Holstein vergaben im Oktober 600 Millionen Euro in Form einer Wandelanleihe an Northvolt. Damit sollte das Unternehmen eine Batteriefabrik in Heide errichten. 2028 sollte Northvolt das Geld zurückzahlen.
Die Wirtschaftsprüfer legten Habeck den Bericht im Juni 2023 vor. Er erteilte die Wandelanleihe. 2024 begannen in Heide die Bauarbeiten, im März dieses Jahres meldete Northvolt Insolvenz an.
Darin steht: Auf 94 Seiten zeichnet PwC ein gemischtes Bild. Northvolt habe „Start-up-Charakter“. Bis 2026 werde das Unternehmen Verluste einfahren.
Northvolt hat PwC die Daten selbst zur Verfügung gestellt. Das Unternehmen habe bisher „vergleichsweise wenige Erfolge“ im Vergleich zu etablierten Batterieherstellern und „keine relevanten finanziellen Reserven“.
Die Verträge seien so gestaltet, dass Kunden kündigen könnten, wenn sie nachweisen, dass die Batterien nicht wettbewerbsfähig seien. Dies sind nach Einschätzung des Gutachtens „marktübliche Regelungen“.
Northvolt betrieb laut Bericht kein Benchmarking, analysierte die eigenen Prozesse also nicht. Dies sei nicht üblich.
Positiv hebt PwC hervor, dass Northvolt bekannte Autobauer als Kunden zählte, die bereit seien, höhere Preise für europäische Batterien zu zahlen. Der Kundenstamm sei „ausreichend diversifiziert“.
Die Ein-Prozent-Chance: Die Wahrscheinlichkeit, dass Northvolt die 600 Millionen zurückzahlen könne, schätzt der Bericht auf 86 Prozent, einen vollständigen Verlust auf nur ein Prozent.
Das PwC-Fazit: Das Projekt in Heide sei „grundsätzlich wirtschaftlich rentabel“.
Angebot: Gestern wurde bekannt, dass ein bisher unbekannter Interessent ein Übernahmeangebot für Northvolt abgegeben hat; sowohl für die schwedischen Standorte als auch für die geplante Fabrik in Heide.
Geld futsch: Im Haushaltsplan lässt sich ablesen, dass in den vergangenen zwei Jahren bereits 2,6 Millionen an Northvolt gezahlt wurden.
Die Union spricht vom „System Habeck“. „Es wurde ein Lieblingsprojekt ohne Rücksicht auf mögliche Verluste durchgedrückt“, sagte Andreas Lenz, wirtschaftspolitischer Sprecher der Union, zu Tom. Kritische Stimmen wären „unterdrückt“ worden, „gerade als sich Northvolt schon in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand“.
U-Ausschuss wird wahrscheinlich: „Es muss vollumfänglich geklärt werden, warum das Wirtschaftsministerium trotz der Warnungen die Förderung durchgedrückt hat — notfalls durch einen Untersuchungsausschuss“, sagte Tamara Mazzi, Haushaltspolitikerin der Linken, zu Tom. Auch in der Unionsfraktion sind Stimmen zu hören, dass ein U-Ausschuss sinnvoll wäre, wenn die offenen Fragen heute nicht geklärt werden.
ZÖLLE |
SORGE VOR SCHLECHTEM DEAL: Friedrich Merz hoffte gestern in seiner Regierungserklärung noch, „dass wir bis Anfang Juli mit den USA zu einer Lösung kommen“. Auf dem Nato-Girpfel in Den Haag will Merz mit Donald Trump das Gespräch suchen, hört Gordon Repinski vor Ort. In Brüssel und Berlin wächst die Sorge, von der schlussendlichen Einigung enttäuscht zu werden.
Washington und Brüssel haben in den letzten Wochen mehrfach Papiere mit Vorschlägen ausgetauscht, berichtet Hans von der Burchard unter Berufung auf drei diplomatische Quellen aus unterschiedlichen Hauptstädten. Die Trump-Regierung will darin Zölle nur für Quoten senken — also für ein Kontingent von europäischen Waren. Darüber hinaus würde wieder der volle Zollsatz gelten.
Merz drängt darauf, vor allem die sektoriellen Zölle zu reduzieren oder zu beseitigen, was „für uns existenziell wichtig“ sei (wir berichteten). Ein Null-Zoll-Abkommen, wie von Merz vorgeschlagen, scheint chancenlos. Ausgerechnet beim Thema Auto sind die Verhandlungen besonders schwierig, da Trump Hersteller zur Produktionsverlagerung in die USA zwingen will.
Neue Flanke: EU-Kommissionssprecher Thomas Regnier schloss gegenüber POLITICO ein Entgegenkommen bei digitalen Regulierungen nicht aus. Das Wall Street Journal hatte berichtet, die EU könnte amerikanischen Unternehmen Ausnahmen vom Digital Markets Act gewähren.
Ansichtssache: Der für die Handelsbeziehungen mit den USA zuständige Kommissionschef Matthias Jørgensen sagte zwar gestern, die regulatorische Autonomie der EU auf den Verhandlungstisch zu legen, sei keine Option.
Brüssel könnte aber einige seiner Bemühungen im Rahmen der Vereinfachungsagenda als Zugeständnisse an Washington verkaufen, sagte Emilie Kerstens, Senior Associate bei Global Counsel, meinen Kollegen in Brüssel.
„Wir müssen das Zollthema dringend lösen“, forderte auch Wirtschaftsministerin Reiche gestern beim Tag der Industrie in Berlin. Sie setzt wie Merz zunächst auf einen Branchen-Deal. „Wir unterstützen die EU, am 9. Juli mit einem schlanken Paper um die Ecke zu kommen“, sagte sie. „An einem — ich will mal sagen — Two-Pager zu arbeiten, ist unser Ziel.“
HAUSHALT |
WENIGER ALS VERSPROCHEN: Nach 49 Tagen im Amt hat die Bundesregierung ihren ersten Haushalt vorgelegt. Bei der Senkung der Energiepreise sorgte sie für Klarheit — und für eine Enttäuschung.
Netzentgelte: Der Bund übernimmt weitere sechs Milliarden Euro für die Stromnetze. Die Zahl nannte Ministerin Reiche beim Tag der Industrie, berichtet Romanus Otte.
Gaspreise: Die Gasspeicherumlage entfällt. Statt über den Gaspreis bezahlt der Bund 3,4 Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfond (KTF) für die Gasvorsorge.
Die Stromsteuer sinkt — anders als von der Koalition versprochen — nur für Industrie und Agrarwirtschaft. Der Rest der Wirtschaft und private Haushalte gehen leer aus. Dem Bund entgehen immer noch 3,7 Milliarden Euro. „Hier trifft dann sozusagen Koalitionsvertrag auf finanzielle Möglichkeit und Wirklichkeit,“ räumte Reiche ein.
WIRTSCHAFTSMINISTERIUM: Das BMWE wird mit dem Haushalt strategische Industrien und die Dekarbonisierung weniger subventionieren als im Vorjahr. Für die Mikroelektronik sind im KTF nur noch 2,9 Milliarden Euro vorgesehen — 2024 waren es noch 4,8 Milliarden Euro.
Für Klimaschutzverträge sind dieses Jahr 553 Millionen Euro eingeplant, und damit 16 Prozent weniger als im Vorjahr. Mit den Verträgen hilft das Wirtschaftsministerium energieintensiven Industrien den Umstieg auf eine kohlenstoffarme Produktion.
Wasserstoff wird stärker aus dem KTF gefördert: 2,1 Milliarden Euro sind für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft reserviert, davon 1,7 Milliarden Euro für den industriellen Einsatz.
Mehr Förderung: Neu ist ein Posten für die Ansiedlung von Produktion kritischer Arzneimittel. Jährlich will die Bundesregierung dafür 50 Millionen Euro bereitstellen.
BAUMINISTERIUM: Innerhalb des KTF wird das Programm für energieeffizientes Bauen mit 15,3 Milliarden Euro der größte Topf. Verena Hubertz’ Haus verbucht 7,4 Milliarden Euro für dieses Jahr. Der Schwerpunkt der Ausgaben liegt mit 3,5 Milliarden Euro beim sozialen Wohnungsbau.
VERKEHRSMINISTERIUM: Die Sanierung der Autobahnen wandert aus dem Etat in das neue Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität. Dafür sind 2,5 Milliarden in diesem Jahr reserviert.
Für klassische Verkehrsthemen — wie Straße, Schiene und Wasserwege — sind 33,4 Milliarden Euro eingeplant. Das sind 7,2 Milliarden mehr als im Vorjahr. 1,6 Milliarden Euro stehen im KTF für die E-Ladeinfrastruktur parat.
DIGITALMINISTERIUM: Das neue Haus hat noch keinen Einzelplan — stattdessen stellt sich Karsten Wildbergers Haushalt aus den Töpfen der anderen Häuser zusammen. Aber einige Maßnahmen werden bereits dem Digitalministerium zugeschrieben — in Summe etwa vier Milliarden Euro.
Dazu gehören Gelder für die EUDI Wallet (131 Millionen Euro), das Bürgerkonto (243 Millionen Euro), die Modernisierung der Registerlandschaft (263 Millionen Euro), Transformation der IT-Dienstleistungen (45 Millionen Euro), Mobilfunkausbau (366 Millionen Euro) und der Breitbandausbau von 2,9 Milliarden Euro.
ROHSTOFFE |
JETZT GEHT ES UM DIE RESERVE: Die Grünen und der BDI fordern den Aufbau einer strategischen Rohstoffreserve. Das Wirtschaftsministerium stellt dafür steuerliche Anreize für Unternehmen in Aussicht.
Wer soll das bezahlen: BDI-Präsident Peter Leibinger sagte auf dem TDI, Deutschland müsse sich auf Engpässe vorbereiten. Deutschland habe noch keine strategischen Reserven für Rohstoffe, Seltene Erden und Medikamente. „Das sollten wir schnell ändern und uns die Kosten dafür zwischen Politik und Wirtschaft in allseitigem Interesse fair aufteilen.“
Auch die Grünen fordern: „Deutschland braucht endlich eigene strategische Reserven für kritische Rohstoffe.“ Dafür brauche es steuerliche Anreize für Unternehmen, so Grünen-Politikerin Sandra Detzer zu Laura Hülsemann.
Wirtschaftsstaatssekretär Stefan Rouenhoff begrüßt diese Idee. Die „Rohstoffbevorratungsrücklage, die rohstoffnutzenden Unternehmen die Lagerhaltung steuerlich erleichtert, stellt ein mögliches Instrument dar“, sagte Rouenhoff zu Laura.
Bewegung bei EU-Kommission: EU-Länder haben bereits strategische Reserven für Öl und Gas, sagte Industriekommissar Stéphane Séjourné dem Handelsblatt. „Dasselbe sollten wir für strategische Rohstoffe tun.“
Deutschland hält sich Option offen: „Ob neben einer privaten Lagerhaltung darüber hinaus eine staatliche Rohstoffbevorratung auf europäischer Ebene sinnvoll ist, werden wir bewerten, sobald konkrete Vorschläge der Kommission vorliegen“, so Rouenhoff.
FACHKRÄFTEMANGEL |
PFLICHTJAHR: BDI-Präsident Peter Leibinger regt an, einen Zivildienst auch in Unternehmen leisten zu können — etwa in Projekten der Entwicklungshilfe.
„Es gibt heute eine hitzige Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht“, sagte Leibinger beim Tag der Industrie. Es gehe ihm um junge Beschäftigte, die sich entscheiden, ihren Zivildienst in ihrem Unternehmen für Entwicklungshilfe-Projekte zu leisten.
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LIEFERKETTENGESETZ |
1000 UND EINE RICHTLINIE: Deutschland will in der EU noch weit mehr Deregulierung durchsetzen, als mit den Omnibus-Paketen geplant ist. Das kündigte Ministerin Reiche beim Tag der Industrie an. Romanus hörte dort eine neue Schärfe.
Wenn die Europäische Kommission nicht mitzieht, wird es schwierig, sagte Reiche mit Blick auf die „Wirtschaftswende“. Die Kommission untersuche gerade, wie viele Delegated Acts es überhaupt gibt. „Man ist mittlerweile bei über 1000“, so Reiche. „Und es werden täglich mehr.“ Delegierte Rechtsakte ergänzen EU-Vorschriften.
In den EU-Gesprächen zum Bürokratie-Abbau mischt sich die Bundesregierung bereits aktiv ein. EU-Politiker von Grünen und Linken kritisieren, Deutschland wolle den Green Deal kippen. Reiche machte nun deutlich, dass sie den Druck noch erhöhen will.
WEISSER RAUCH BEI LIEFERKETTEN: Alle 27 EU-Länder haben sich darauf geeinigt, die Vorschriften für Unternehmen zur Überwachung ihrer Lieferketten abzuschwächen. Sie sollen erst ab 5.000 Mitarbeitern und 1,5 Milliarden Euro Umsatz gelten.
Unternehmen sollen nur ihre direkten Zulieferer überwachen müssen und nicht die gesamte Lieferkette. Die Frist zur Umsetzung in nationales Recht soll um ein Jahr verlängert werden.
BÜROKRATIEABBAU |
OMNIBUS FÜR DIE CHEMIE: Die EU-Kommission will die Regeln zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Chemikalien vereinfachen. Das geht aus einem Entwurf für ein Omnibus-Paket (hier) sowie einem Begleitdokument (hier) hervor. Die Dokumente liegen meinen Kolleginnen Leonie Carter und Marianne Gros vor.
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HEUTE WICHTIG |
— MILITÄR: In Den Haag endet der Nato-Gipfel
— AUSSCHÜSSE: Ab 9 Uhr berät der Finanzausschuss über den Investitionsbooster, bei dem sich Bund und Länder gestern auf Ausgleichszahlungen geeinigt hatten. Um 10 Uhr stellt Reiche im Wirtschaftsausschuss ihr Programm vor.
— BEIHILFE: Am Mittag stellt Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera die Änderungen im EU-Beihilferecht vor. Sie könnten der Weg für einen deutschen Industriestrompreis ebnen.
— FRAGENHAGEL: Um 13 Uhr stellt sich Wirtschaftsministerin Reiche im Bundestag den Fragen der Abgeordneten. Sie wird mit Landwirtschaftsminister Alois Rainer befragt. Wir beobachten von der Tribüne.
Das war Industrie und Handel — das Wirtschaftsbriefing von POLITICO. Vielen Dank, dass Sie uns lesen und abonnieren. Bis zur nächsten Ausgabe!
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