Hubertz’ Wohnungsbau-Turbo stockt
––– Die Bauministerin erhält eine Abfuhr in der Koalition – und Lob auf dem Tag der Immobilienwirtschaft heute. ––– Merz reist in die USA – und Berlin und Brüssel wollen Trump im Zollstreit nach POLITICO-Infos mit einem brisanten Angebot an Autohersteller locken. ––– Von der Leyen kündigt im Interview Unterstützung für drastische Russland-Sanktionen an – und […]
Was Deutschlands neue Rolle im Welthandel bedeutet – verständlich, relevant, auf den Punkt.
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Von ROMANUS OTTE
Mit LAURA HÜLSEMANN und TOM SCHMIDTGEN
––– Die Bauministerin erhält eine Abfuhr in der Koalition – und Lob auf dem Tag der Immobilienwirtschaft heute.
––– Merz reist in die USA – und Berlin und Brüssel wollen Trump im Zollstreit nach POLITICO-Infos mit einem brisanten Angebot an Autohersteller locken.
––– Von der Leyen kündigt im Interview Unterstützung für drastische Russland-Sanktionen an – und schreckt die Industrie auf.
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THEMA DES TAGES |
SCHAFFE, SCHAFFE, HÄUSLE BAUE: Ministerin Verena Hubertz will Tempo beim Bauen, die Industrie auch – doch das Umweltministerium steht auf der Bremse.
Denn: Das Ressort hat dem Entwurf für den Bau-Turbo noch nicht zugestimmt, wie Tom Schmidtgen und Rasmus Buchsteiner übereinstimmend aus Regierungs- und Fraktionskreisen erfahren haben.
Das Gesetz ist deswegen auch heute nicht im Kabinett – anders als etwa Lars Klingbeils Investitionssofortprogramm.
Streitpunkt: Für mehr Wohnungen soll der Lärmschutz derart gelockert werden, dass das dafür zuständige Umwelt-Ressort blockiert. Kommunen sollen laut Gesetzentwurf leichter zwischen Wohnungsneubau und Lärmschutz abwägen können.
Der Bau-Turbo ermöglicht, „das Heranrücken von Wohnbebauung an lärmemittierende Gewerbebetriebe zu erleichtern”, sagte SPD-Bauobmann Hendrik Bollmann zu Laura Hülsemann.
Definiere Lärm: Die Koalition muss noch Details klären, etwa was „erhebliche Umweltauswirkungen“ im Gesetz konkret bedeuten.
Grüne Kritik: „Erst haben Union und SPD einen Bau-Turbo angekündigt und jetzt drücken sie selber auf die Bremse”, sagte der Baupolitiker Kassem Taher Saleh zu Laura. Das Gesetz garantiere „keine bezahlbaren Mieten, aber belastet die Umwelt”.
Hubertz wollte den Turbo längst im Kabinett haben. Damit würde den Kommunen eine „Brechstange” in die Hand gegeben, um die Wohnungsnot zu lindern und die Bauindustrie wiederzubeleben, hatte sie dem RND gesagt. Das Gesetz soll aber weiterhin vor der Sommerpause eingebracht werden.
Vor dem Kabinett sollen auch Verbände und Länder noch gehört werden. Die Koalition will danach den schnellen Weg gehen und das Gesetz als Formulierungshilfe an die Fraktionen geben, sagt Bollmann.
Agenda: Heute spricht Hubertz beim Tag der Immobilienwirtschaft und stellt sich den Fragen der darbenden Baubranche – ohne Segen aus dem Kabinett. Sie wird den Ärger gut verstecken.
Vorschuss-Lorbeere: „Die neue Bundesregierung hat Tempo versprochen und sie liefert Tempo” sagte Tim-Oliver Müller, Chef des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie zu Laura. Deswegen sei Hubertz’ Bau-Turbo „ein erstes, wichtiges und starkes Signal für die Branche”.
ZÖLLE |
LEX TESLA: Die EU will den USA bei den Zollverhandlungen nach POLITICO-Infos in einem wichtigen Punkt entgegenkommen – mit abgespeckten Regeln für das autonome Fahren.
Der Vorschlag wurde am Montag bei einer Krisen-Schalte (mehr hier) der Spitzen der deutschen Autoindustrie, EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič und Wirtschaftsministerin Reiche diskutiert, berichten mehrere mit den Verhandlungen vertraute Personen gegenüber Jürgen Klöckner und Jordyan Dahl.
Grundlage ist ein Arbeitspapier, das am 19. Mai von der Kommission an die EU-Staaten verschickt wurde. Die EU-Kommission lehnte eine Stellungnahme ab.
Déjà vu: Gleiche Autostandards waren schon bei den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP Thema. Die kamen 2013 zum Stillstand, auch weil die EU die niedrigeren US-Standards nicht übernehmen wollte.
Kurswechsel: Die EU reguliert das autonome Fahren nach einer UN-Vorlage, die USA nicht. Europa lässt autonom fahrende Autos aufwändig prüfen. In den USA müssen Hersteller nur versprechen, die Standards zu erfüllen.
Das macht den Einsatz in Europa deutlich schwieriger – zum Ärger von Autobauern wie Tesla. Der Hersteller bietet ein Autopilot-System an, das eigenständig lenken, bremsen und beschleunigen kann – laut Tesla ein „fahrerunterstützendes System“.
In der EU darf diese Technik nur auf baulich getrennten Straßen eingesetzt werden, auf denen Fußgänger und Radfahrer verboten sind und eine Höchstgeschwindigkeit von 130 Kilometern pro Stunde gilt.
We have a deal? Nicht ganz. Zölle auf Autos sind nur ein Puzzleteil für ein Handelsabkommen. Sie sind für Trump ein Druckmittel, um Zugeständnisse in anderen Bereichen zu erreichen. Trump will keine Einzelabkommen, sondern einen big deal über verschiedene Branchen hinweg.
SANKTIONEN |
EISERNE LADY LEYEN: Die Kommissionschefin hat angekündigt, die von den USA erwogenen drastischen Strafzölle gegen Russland zu unterstützen – und damit die deutsche Industrie aufgeschreckt.
Hintergrund: Von der Leyen hatte im POLITICO-Interview die Pläne des republikanischen US-Senators Lindsey Graham für einen 500-Prozent-Zoll begrüßt. Dieser zielt gegen Russlands Exporte und Putins verbliebene Handelspartner.
Die EU treibt ihr 18. Sanktionspaket voran. Wenn sich die USA zu Grahams Sanktionen entschließen, würden diese im „Paket mit drin sein”, sagte von der Leyen zu Gordon Repinski. Das Interview erscheint heute in voller Länge im Berlin Playbook Podcast (hier). Mehr auch hier.
Ein 500-Prozent-Zoll der USA gegen Länder, die weiterhin Öl oder Gas-Produkte aus Russland kaufen, würde aber auch die EU und somit Deutschland betreffen.
Zum einen liefert Russland immer noch Energie an EU-Länder. Sie könnten aber von dem Mega-Zoll ausgenommen werden, deutete Graham an – etwa durch Ausnahmen für alle Länder, die die Ukraine unterstützen.
Zum Zweiten könnte die EU selbst Zölle gegen Drittstaaten erwägen. Auf die Frage, ob die EU dies versuchen würde, sagte von der Leyens Sprecherin Paula Pinho: „Die Idee ist, so viel wie möglich zu koordinieren”. Aber: „Es muss nicht identisch sein.“
Zum Dritten könnten deutsche Unternehmen durch indirekte Effekte betroffen sein, wenn für Länder wie China und Indien noch höhere US-Zölle gelten würden.
Schockmoment: Wolfgang Weber, Chef des Industrieverbandes ZVEI, nannte einen 500-Prozent-Zoll einen „heftigen Schritt“. Denn: „Davon wäre auch die EU betroffen, ebenso wie die deutsche Elektro- und Digitalindustrie, die global vernetzt und grenzüberschreitend arbeitet.“
Mit Blick auf Merz’ US-Reise sagte von der Leyen, sie stimme sich eng ab: „Wir telefonieren regelmäßig und ich werde auch noch mal gut mit ihm sprechen, bevor er dann in die Vereinigten Staaten fährt”, sagt die CDU-Politikerin. Merz trifft Trump am Donnerstag.
Einen Tag vor Merz’ Besuch setzte Trump auch formal die neuen 50-prozentigen Zölle auf Stahl und Aluminium in Kraft.
SUBVENTIONEN |
IM DSCHUNGEL: Das Wirtschaftsministerium will alle Förderprogramme für Unternehmen überprüfen. Das kündigte die Parlamentarische Staatssekretärin Gitta Connemann im Gespräch mit Romanus Otte an.
„Förderprogramme machen dann Sinn, wenn es sich um Anschubfinanzierungen handelt, damit neue Märkte erschlossen oder disruptive Technologien möglich gemacht werden”, sagte Connemann. „Aber inzwischen gibt es einen Förder-Dschungel”.
„Dieser Subventionitis sagen wir den Kampf an“, sagte Connemann. Ein Ziel sei es, mehr Geld für „strukturelle Erleichterungen zu haben”.
Weiteres Ziel: Der Check soll auch dazu beitragen, die Staatsausgaben zu senken. Dafür steht ein brisanter Beschluss der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) der CDU, deren Vorsitzende Connemann ist.
BREMSE FÜR DEN STAAT: Die MIT fordert, die Staatsquote von aktuell 49,5 Prozent dauerhaft unter 45 Prozent zu drücken. Der Beschluss liegt POLITICO vor.
Mehr noch: Dieses Ziel solle gesetzlich festgelegt werden, sagte Connemann. „Erst durch eine gesetzliche Regelung wird die Obergrenze bindend.“ Die Forderung erinnert an die Schuldengrenze im Grundgesetz. So weit geht die MIT nicht.
Doch das Vorhaben wäre gewaltig: Fünf Prozentpunkte weniger Staatsquote entsprechen rechnerisch gut 200 Milliarden Euro.
Gegenreaktion: Der MIT-Beschuss steht damit im Widerspruch zu den rund eine Billion Euro schweren Ausgabeplänen der Koalition für Verteidigung und Infrastruktur. In der Folge dürfte die Staatsquote schon dieses Jahr sogar über 50 Prozent steigen.
Mehr dazu hier.
ARBEITSZEITEN |
ARBEITS-K(R)AMPF: Heute debattiert der Arbeitsausschuss auf Antrag der Grünen das erste Mal über die Wochenhöchstarbeitszeit, berichtet Tom Schmidtgen.
Hintergrund: Die Koalition plant den Abschied vom klassischen Acht-Stunden-Tag, hin zu einer Höchstgrenze pro Woche. Das würde Arbeit – vor allem in der Industrie – flexibler machen, birgt aber auch gesundheitliche Risiken, fürchten die Grünen.
Forderung im Ausschuss: „Das BMAS wird gebeten, zur Entwicklung des Gesamtarbeitvolumens in Deutschland sowie den bezahlten und unbezahlten Überstunden Stellung zu nehmen”, heißt es aus Grünen-Kreisen.
Start verzögert: Im Koalitionsausschuss vor einer Woche hat Schwarz-Rot den „Start des Sozialpartnerdialogs zur Flexibilisierung von Arbeitszeiten“ angekündigt. Doch das Arbeitsministerium hatte das Vorhaben bis zum Wochenstart noch nicht auf der Agenda.
„Einen Zeitplan kennen wir noch nicht“, teilte der Arbeitgeberverband Gesamtmetall mit – einer der Sozialpartner. Auch Einladungen zum Dialog sind noch nicht verschickt. „Wir warten noch“, hieß es vom DGB.
Kritik von Union: CDU-Arbeitsmarktpolitiker Markus Reichel forderte eine „schnelle Entscheidung durch die Regierung“, die Klarheit schaffe.
WEITERE NEWS |
– MINI-WACHSTUM: Die OECD traut der deutschen Wirtschaft in diesem Jahr unverändert nur 0,4 Prozent Wachstum zu. Von über 50 Industrieländern schneiden nur Norwegen und Österreich schlechter ab. Die Handelskonflikte und weitere Unsicherheit dämpften die Konjunktur aber weltweit, sagte OECD-Chefökonom Álvaro Pereira in Paris.
– INVESTITIONSBREMSE TRUMP: Deutsche Unternehmen investieren laut Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) kaum noch in den USA. Im Februar und März waren es gerade 265 Millionen Euro. Zwischen 2010 und 2024 waren es im gleichen Zeitraum im Mittel 4,6 Milliarden Euro – 18-mal so viel wie seit dem Amtsantritt Trumps.
– COVESTRO-ÜBERNAHME GEBREMST: Der geplante Kauf des Chemiekonzerns durch die Abu Dhabi National Oil Company liegt auf Eis. Die EU hat eine Frist für die Prüfung auf unbestimmte Zeit vertagt, berichtet meine Kollegin Francesca Micheletti. Die Unternehmen haben es offenbar versäumt, Fragen rechtzeitig zu beantworten.
HEUTE WICHTIG |
– Wirtschaftsministerkonferenz: Heute und morgen treffen sich in Stuttgart die Wirtschaftsminister der Bundesländer. Die Tagesordnung ist mit 22 Punkten pickepackevoll.
– Kabinett: Um 10 Uhr beschließt das Kabinett das Steuerentlastungsgesetz mit den neuen Abschreibungen.Um 11.30 Uhr gibt Lars Klingbeil dazu ein Pressestatement.
– Außenhandel: Um 13 Uhr nimmt Landwirtschaftsminister Alois Rainer an der Sitzung des Wirtschaftsausschusses für Außenhandelsfragen teil.
– Bau-Turbo: Bauministerin Verena Hubertz spricht um 13.30 Uhr beim Tag der Immobilienwirtschaft in Berlin.
– G7-Treffen: Am Vormittag treffen sich die G7-Handelsminister mit EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič in Paris. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche trifft zum ersten Mal auf ihre G7-Kollegen. Thema auch hier: Zölle.
– BDEW-Kongress: Zurück aus Paris spricht Reiche um 13:45 Uhr beim Kongress des Energieverbandes BDEW. Thema: „Verlässliche Energiepolitik für eine starke Wirtschaft”. Direkt im Anschluss um 14:15 Uhr redet dort Umweltminister Carsten Schneider.
– Antrittsbesuch bei Trump: Friedrich Merz bricht um 22 Uhr zu seinem ersten Treffen mit dem US-Präsidenten nach Washington auf. Das Gespräch ist ab Donnerstagmittag geplant.
Das war Industrie und Handel — das Wirtschaftsbriefing von POLITICO. Vielen Dank, dass Sie uns lesen und abonnieren. Bis zur nächsten Ausgabe!
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