Mercosur-Kompromiss in Sicht
Was Deutschlands neue Rolle im Welthandel bedeutet – verständlich, relevant, auf den Punkt. By ROMANUS OTTE Mit LAURA HÜLSEMANN und TOM SCHMIDTGEN Im Browser anzeigen oder hier anhören. TOP-THEMEN — Brüssel nährt Merz’ Hoffnungen auf einen schnellen Abschluss des Mercosur-Abkommens – mit einem Angebot an Paris. — Die Bundesländer bemängeln Hubertz’ Bau-Turbo als unzureichend. — […]
Was Deutschlands neue Rolle im Welthandel bedeutet – verständlich, relevant, auf den Punkt.
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By ROMANUS OTTE
Mit LAURA HÜLSEMANN und TOM SCHMIDTGEN
TOP-THEMEN |
— Brüssel nährt Merz’ Hoffnungen auf einen schnellen Abschluss des Mercosur-Abkommens – mit einem Angebot an Paris.
— Die Bundesländer bemängeln Hubertz’ Bau-Turbo als unzureichend.
— Reiche will vorerst auf reine Gaskraftwerke setzen – doch Industrie und Grüne warnen, das gefährde den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft.
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MERCOSUR |
DEAL IN SICHT: Kanzler Merz kann das d’accord aus Paris zu Mercosur kaum erwarten, schließlich stehen französische Bedenken dem Handelsabkommen der EU noch im Weg.
Um sie auszuräumen, erwägt die Europäische Kommission nun eine Zusatzerklärung. Das sagten drei Diplomaten und Beamten meinen Kollegen Camille Gijs, Hans von der Burchard und Antonia Zimmermann. Mehr hier.
Schutz für Bauern: Das Zusatzprotokoll soll EU-Landwirte vor einer möglichen Flut südamerikanischen Fleisches schützen. Dies hatte Präsident Macron zuletzt gefordert.
Darüber hinaus arbeitet Brüssel an einem neuen Fonds, der Landwirte für etwaige negative Auswirkungen des Mercosur-Abkommens entschädigen und den französischen Widerstand entkräften soll.
In seiner Regierungserklärung Mitte Mai hatte Merz gesagt, er werde sich für eine schnelle Ratifizierung des Abkommens einsetzen. Beim Antrittsbesuch in Paris bezeichnete er die Bedenken hinsichtlich der Landwirtschaft als „Einzelthemen, die das Ganze nicht in Frage stellen“.
Berlin vs. Paris: Wirtschaftsministerin Reiche hat das Mercosur-Abkommen in ihren Reden mehrfach als Priorität und Beispiel für weitere angestrebte Freihandelsabkommen betont.
Deutsche Exporte nach Mercosur betrugen 2024 nach Daten des Statistischen Bundesamtes rund 16,2 Milliarden Euro, im Gegenzug gingen Waren im Wert von 0,7 Milliarden Euro in die Bundesrepublik. Laut dem Lateinamerika-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft hängen 240.000 Arbeitsplätze direkt von diesen Exporten ab.
Das Abkommen würde eine Freihandelszone mit fast 800 Millionen Menschen schaffen und die Zölle auf 91 Prozent der Exporte aus der EU in den Mercosur abschaffen.
Rückblick: EU-Kommissarin Ursula von der Leyen unterzeichnete das Abkommen im vergangenen Dezember in Uruguay und beendete damit zwei Jahrzehnte langwieriger Verhandlungen. Dieser Durchbruch weckte die Hoffnung, dass die EU-Mitgliedsländer dem Abkommen in diesem Jahr endlich ihre politische Zustimmung erteilen könnten.
Ausblick: Der endgültige, juristisch überarbeitete Text des Abkommens wird voraussichtlich innerhalb weniger Wochen vorliegen und an die Mitgliedsländer gehen.
WOHNUNGSBAU |
KRITIK AM BAU-TURBO: Bauministerin Verena Hubertz erntet Kritik für ihren Gesetzentwurf aus den Ländern, erfuhr Laura Hülsemann nach Ablauf der Anhörungsfrist.
O-Ton NRW: Der „Entwurf bleibt hinter den Erwartungen zurück“, sagte NRW-Baustaatssekretär Daniel Sieveke (CDU) zu Laura. Mehr Tempo beim Bau gebe es, „wenn es keine Einschränkung gibt“.
6-Wohnungen-Problem: Laut dem Entwurf können Bauprojekte mit mindestens sechs Wohnungen schneller geplant werden. Dies sei „anders als verabredet“, so Sieveke. „Uns irritieren die Vorgaben zur Mindestzahl von Wohneinheiten“.
Viel Lärm: Die Union will den Lärmschutz überdenken. Er gilt zum Beispiel beim Abstand von Wohn- zu Gewerbegebieten. Es sei Zeit, die „Restriktionen wie die TA Lärm mutig [zu] hinterfragen“, sagte Sieveke. „Wir brauchen eine grundlegende Überprüfung von Schwellenwerten und Messpunkten“.
Das Land Berlin hat einen „wesentlichen Einwand“, sagte ein Sprecher der SPD-geführten Senatsverwaltung für Bau zu Laura. Im Entwurf fehle die „Einbeziehung sozialer Infrastruktur“ wie Schulen und Kitas.
GASKRAFTWERKE |
ERDGAS ODER WASSERSTOFF: Katherina Reiches Plan, als Stromreserve mehr und zunächst reine Gaskraftwerke zu bauen, löst in der Industrie und bei den Grünen Sorge um den Aufbau der Wasserstoff-Wirtschaft aus, erfuhr Tom Schmidtgen.
Der Energieverband BDEW warnt: Die Planungssicherheit für das im Aufbau befindliche Wasserstoffkernnetz wäre höher, „wenn dezidiert H2-ready-Kraftwerke mit festem Umstiegszeitpunkt ausgeschrieben werden“, sagte die BDEW-Vorsitzende Kerstin Andreae zu Tom.
Noch deutlicher werden die Grünen. Das „wird den Wasserstoff-Hochlauf killen“, sagte Michael Kellner zu Tom. Die Wirtschaftsministerin mache einen Fehler, „wenn sie nicht auf grünen Wasserstoff geht“.
Hintergrund: Reiche will dieses Jahr Gaskraftwerke mit einer Leistung „zwischen fünf und zehn Gigawatt“ ausschreiben (mehr hier). Die ersten Kraftwerke werden „vermutlich [reine] Gaskraftwerke sein, weil diese schnell und auch kostengünstig zu beschaffen sind“.
Kellner arbeitete als Staatssekretär an Robert Habecks Kraftwerkstrategie mit. Reiches Vorgänger wollte nur 12,5 Gigawatt Leistung bauen. Die Pläne müssen von der EU-Kommission genehmigt werden. Fraglich sei, ob Genehmigung, Ausschreibung und Bau bis 2030 gelingen können.
Ähnlich sieht das die Industrie: „Aufgrund des Zeitdrucks empfehlen wir als gesetzliche Grundlage für das Kraftwerksicherheitsgesetz, den Plan der alten Bundesregierung mit so vielen Anpassungen wie notwendig, aber so wenigen wie möglich, umzusetzen, statt den Prozess komplett neu zu planen“, sagte Andreae.
ZÖLLE I |
HANDEL UND MIGRATION: Die EU-Kommission erwägt, Zollvorteile für arme Länder daran zu binden, ob diese Länder abgelehnte Migranten wieder aufnehmen. Dieser Kompromiss zeichne sich in Brüssel ab, erfuhr meine Kollegin Camille Gijs von mehreren Beamten und Diplomaten.
Darum geht es: Die EU-Institutionen ringen seit 2022 um eine Überarbeitung des Allgemeinen Präferenzsystems (APS). Es erlaubt armen Ländern wie Pakistan oder Bangladesch, Waren zu niedrigen Zöllen oder zollfrei in die EU zu liefern.
Das deutsche Entwicklungsministerium sieht eine Verknüpfung von Zöllen und Migration kritisch. „Aus Sicht des BMZ ist zentral, dass das APS in erster Linie ein handelspolitisches Instrument mit Entwicklungsfokus bleibt“, sagte ein Sprecher zu Laura.
ZÖLLE II |
WENN USA UND CHINA SICH EINIGEN, freut sich der Kanzler. Der Deal im Zollstreit der beiden Länder gehe „nicht zu Lasten Europas, sondern ist ein weiterer Konflikt, der gelöst wurde“, sagte er.
Kritischer Blick hingegen in den USA: Die jüngsten Fortschritte seien klein und zaghaft, räumte eine dem Weißen Haus nahestehende Person mit Kontakt zur Delegation in den Verhandlungen gegenüber meinem US-Kollegen Ari Hawkins ein.
„Die Regierung weiß, dass jedes Abkommen mit China nicht das Papier wert ist, auf dem es geschrieben steht“, sagte die Person. Noch gebe es kein Handelsabkommen, denn viele Details müssten noch ausgehandelt werden.
Rohstoffe gegen Chips: Als Kern des Deals liefert China den USA wieder die für die Industrie wichtigen Seltenen Erden, unter anderem Magnete. Die USA lockern im Gegenzug ihr Exportverbot für Hochleistungs-Chips nach China. Mehr hier.
Was das für Europa bedeutet: Die USA hofften, die Erleichterungen von China exklusiv zu bekommen, um gegenüber Europa bevorzugt zu werden, sagte DGAP-Handelsexpertin Claudia Schmucker zu Tom Schmidtgen. „Die Chinesen sind allerdings an guten Beziehungen zur EU interessiert“.
Bewegung in China: Dafür spricht, dass der chinesische Rohstoff-Produzent JL MAG Rare-Earth bereits eine Ausfuhrgenehmigung erhalten hat. Man dürfe Seltene Erden wieder in die USA, aber auch nach Europa und Südostasien liefern, gab MAG bekannt.
BINNENMARKT |
AUFBAU OST: Wirtschaftsministerin Reiche ruft einen neuen, direkten Gesprächskreis mit ihren Kollegen aus Osteuropa ins Leben. Das kündigte der neue Staatssekretär Thomas Steffen gestern Abend beim Jahresempfang des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft an, wie Tom Schmidtgen von vor Ort berichtet.
O-Ton: „Wir wollen neben dem Rat der EU einen regelmäßigen Gesprächskreis einrichten der deutschen Wirtschaftsministerin mit vor allem den Kolleginnen und Kollegen aus Osteuropa“, sagte Steffen.
„Und bitte, bitte, das sieht die Ministerin genauso: keine große Agenda, sondern freier Austausch.“ Steffen: „Noch fehlt uns das richtige Forum, aber da fällt uns sicher etwas ein.“
Mittel- und Osteuropa werden für die deutsche Wirtschaft immer wichtiger. Allein nach Polen exportierten deutsche Firmen 2024 Waren für 93,8 Milliarden Euro. Polen wurde damit zum viertgrößten Auslandsmarkt – und überholte damit China.
PERSONALIEN |
RÄTEREPUBLIK: Die Wirtschaftsministerin lässt sich bald von einem neuen Gremium von Ökonomen beraten. Ihm gehören Veronika Grimm, Volker Wieland und Justus Haucap an, berichtete das Handelsblatt.
Liberale Ökonomen: Alle sind liberale, an der marktwirtschaftlichen Ordnung orientierte Ökonomen. Energie-Expertin Grimm gehört dem Sachverständigenrat an, wo sie zuletzt durch Minderheitsvoten auffiel. Wieland war ebenfalls Wirtschaftsweiser, zog sich aber 2022 vorzeitig zurück. Haucap leitete mehrere Jahre die Monopolkommission.
Gegenpol: Zuvor hatte Finanzminister Lars Klingbeil mit Jens Südekum ebenfalls einen Ökonomen als Berater berufen. Südekum plädiert für eine aktive Rolle des Staates in der Finanz-, Wirtschafts- und Industriepolitik.
Fun Fact: In beiden Häusern gibt es zudem Wissenschaftliche Beiräte mit insgesamt 64 Ökonomen. Interessant: Klingbeils Berater Südekum sitzt auch im Beirat des Wirtschaftsministerium – und Reiches Berater Wieland im Beirat des Finanzministeriums.
HEUTE WICHTIG |
— 10:00 Uhr: Die Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur, Barbie Haller, besucht die Koverter-Baustelle in Meerbusch
— 10:30 Uhr: Das Ifo-Institut stellt seine neue Konjunktur-Prognose in München vor.
— 10:30 Uhr: OECD-Generalsekretär Mathias Cormann stellt den Konjunkturbericht für Deutschland in Berlin vor und stellt sich mit Katherina Reiche Fragen.
— 11:00 Uhr: Das IWH stellt seine Konjunkturprognose zum Sommer 2025 in Halle (Saale) vor.
— Bis zum 13. Juni: In Brüssel findet die Konferenz der Internationalen Energieagentur zu Energieeffizienz statt. Vor Ort sind u.a. IEA-Chef Fatih Birol und Dan Jørgensen, EU-Kommissar für Energie.
WEITERE NEWS |
— Cloud-Abhängigkeit: 78 Prozent der Unternehmen halten Deutschland für zu abhängig von US-Cloud-Anbietern, zeigt eine Bitkom-Studie. Acht von zehn wünschen sich deutsche oder europäische Hyperscaler, die es mit den Marktführern aufnehmen können.
— SPD und Union streiten über den Einsatz der Analyseplattform „Vera“ des US-Herstellers Palantir, berichtet das Handelsblatt. Während die CDU/CSU für die Verwendung der KI-gestützten Software bei Bundespolizei und BKA wirbt, lehnt die SPD-Fraktion diese strikt ab. Innenpolitiksprecher Sebastian Fiedler spricht von „Industriepolitik für ein einzelnes US-amerikanisches Unternehmen“ und warnt vor dem Einfluss von Palantir-Mitgründer und „Demokratiefeind“ Peter Thiel. Die Diskussion ist Teil der Innenministerkonferenz in Bremerhaven.
— An der Nordsee-Küste: Die niedersächsische Küstenregion will Modellregion für eine klimaneutrale Industrie werden. Sie bewirbt sich als “Net-Zero Valley” beim Land. Es geht um EU-Fördermittel und beschleunigte Genehmigungsverfahren. Mit dem Antrag sind Investitionen von etwa 35 Milliarden Euro verbunden.
— Deutschlands Importe aus Russland sind seit Russlands Angriff auf die Ukraine um 94,6 Prozent auf 1,8 Milliarden Euro im Jahr 2024 eingebrochen, teilte das Statistische Bundesamt mit. Die Exporte nach Russland schrumpften von 71,6 Milliarden Euro 2021 auf noch 7,6 Milliarden Euro im vergangenen Jahr.
Das war Industrie und Handel — das Wirtschaftsbriefing von POLITICO. Vielen Dank, dass Sie uns lesen und abonnieren. Bis zur nächsten Ausgabe!
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