So will Deutschland die Lieferketten-Richtlinie entschärfen
TOP-THEMEN — Unternehmen sollen nicht für die Lieferkette ihrer Zulieferer haften, findet die Bundesregierung, wie uns Stefan Rouenhoff im Interview sagte. — Merz bricht am Wochenende zum G7-Gipfel nach Kanada auf – wo es um Rohstoffe und den Umgang mit China gehen wird. — Forderungen nach dem Verbrenner-Aus-Aus erreichen uns jetzt auch aus der Union […]
Was Deutschlands neue Rolle im Welthandel bedeutet – verständlich, relevant, auf den Punkt.
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Von TOM SCHMIDTGEN
Mit LAURA HÜLSEMANN, JÜRGEN KLÖCKNER und ROMANUS OTTE
TOP-THEMEN |
— Unternehmen sollen nicht für die Lieferkette ihrer Zulieferer haften, findet die Bundesregierung, wie uns Stefan Rouenhoff im Interview sagte.
— Merz bricht am Wochenende zum G7-Gipfel nach Kanada auf – wo es um Rohstoffe und den Umgang mit China gehen wird.
— Forderungen nach dem Verbrenner-Aus-Aus erreichen uns jetzt auch aus der Union und dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall.
Guten Morgen und willkommen bei Industrie und Handel – heute zum ersten Mal von mir, Tom Schmidtgen.
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THEMA DES TAGES |
RAN AN DIE RICHTLINIE: Die Bundesregierung hat erstmals deutlich gemacht, wie sie die EU-Lieferkettenrichtlinie entschärfen will: bei der Haftung von Managern und Unternehmern sowie den indirekten Folgen für kleine und mittlere Firmen.
„Wir wollen keine zivilrechtlichen Haftungsregeln“, sagte Stefan Rouenhoff, Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, zu Laura Hülsemann und Romanus Otte.
Nicht abwälzen: „Und es sollte sichergestellt werden, dass unmittelbar vom Gesetz betroffene große Unternehmen ihre rechtlichen Verpflichtungen nicht einfach auf mittelständische Zulieferer abwälzen können.“
Union und SPD wollen das deutsche „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ abschaffen. Zu der EU-Richtlinie vereinbarte die Koalition aber nur, sich für eine „bürokratiearme Lösung insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen“ einzusetzen.
Rouenhoff wird deutlich: „Es muss Schluss sein mit überzogenen Vorgaben für unsere Wirtschaft.“ Damit die EU-Richtlinie für Unternehmen gangbar werde, seien noch „wesentliche Erleichterungen nötig“.
Vorschlag aus Brüssel: Der Entwurf eines Parlamentsberichts, der unserer Kollegin Marianne Gros exklusiv vorliegt, schlägt weitere Abschwächungen vor.
Er besagt, dass nur Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern und einem Nettoumsatz von mindestens 450 Millionen Euro unter die Richtlinie fallen sollen. Zuvor hatte die Kommission den Anteil der betroffenen Firmen über Schwellenwerte bereits um 80 Prozent verringert.
Rouenhoffs Skepsis: Wenn die Richtlinie nur für große Unternehmen gilt, sie dann aber die gesamte Lieferkette überwachen sollen, würden die daraus resultierenden Pflichten auch die kleineren Zulieferer und deren Zulieferer treffen.
Was will Bas? Unklar ist, ob das SPD-geführte Arbeitsministerium da mitgeht. Ein Sprecher von Bärbel Bas verwies auf Anfrage nur auf die Ziele des Koalitionsvertrages.
Merz und Macron hatten sogar die völlige Abschaffung der EU-Richtlinie ins Spiel gebracht. In diese Kerbe schlägt jetzt auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall.
„Ich finde, das muss komplett fallen“, sagte Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf zu Romanus. „Nicht nur das deutsche Gesetz, auch die EU-Richtlinie.“
„Wenn das nicht gelingt, müssen auf jeden Fall die Gültigkeit für die gesamte Lieferkette und die persönliche Haftung für Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsräte raus“, forderte Wolf.
G7-GIPFEL |
TEAMBUILDING: Friedrich Merz reist am Sonntag in die Berge Kanadas. In Kananaskis im Bundesstaat Alberta nimmt der Kanzler zum ersten Mal an einem G7-Gipfel teil.
Hauptziel seit Trump II: Kein Streit, kein Eklat. Die G7 soll unbedingt eine Gruppe der SIEBEN bleiben, hört Romanus aus der Bundesregierung. Ein „1 gegen 6“ darf es nicht geben, heißt es.
Kanadas Gastgeber Mark Carney hat dafür eine Taktik. Statt einer großen Abschlusserklärung soll es sieben Dokumente zu Themenblöcken geben.
Die sieben Themen: Kritische Rohstoffe, Waldbrände, Migration & Schmuggel, Künstliche Intelligenz, Quantencomputer, finanzielle Partnerschaften sowie transnationale Übergriffe.
Der Plan: Statt über den Klimawandel über Waldbrände reden, die auch in den USA wüten. Und die Themen Handel und Zölle sind zwar vermintes Gelände, aber an Rohstoff-Deals hat auch Trump Interesse.
Zu Rohstoffen und Energie hat Kanada einen Aktionsplan vorbereitet. Ziel: Mit Geld der G7 mehr Rohstofflager in Ländern des Globalen Süden zu erschließen. Dies soll Abhängigkeiten – vor allem von China – verringern. Dazu geladen sind unter anderem die Regierungschefs aus der Ukraine, Brasilien, Mexiko, Süd-Korea, Südafrika und den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Das trifft die Sorgen der deutschen Industrie: Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) hat ein Papier vorgelegt, in dem ein kritischerer Umgang mit der Volksrepublik gefordert wird. „China spielt unfair“, sagt VDMA-Präsident Bertram Kawlath. Die Bundesregierung müsse sich für die Einhaltung fairen Wettbewerbs einsetzen.
Apropos unfair: Trump drohte im Vorfeld des Gipfels mit der Erhöhung der Autozölle und stichelte gegen Deutschland. „Ich bin sicher, dass Europa und Deutschland begeistert sein werden“, sagte er am Donnerstag. „Es ist okay einen Mercedes zu haben, aber sie werden ihn hier bauen müssen.“
Mixed Signals: Finanzminister Scott Bessent hingegen betonte, die 90-tägige Frist für ein Handelsabkommen mit der EU könnte verlängert werden.
America first: Eröffnet wird der Gipfel mit einem Ausblick auf die Weltwirtschaft. Trump darf zuerst reden, hört Romanus. Dann werde sich auch Merz „schnell einbringen”.
VERBRENNER-VERBOT |
RÜCKWÄRTSGANG: Die Union will Lockerungen für die Autoindustrie. „Als CDU/CSU-Fraktion halten wir es für sinnvoll, die Flottengrenzwerte zeitlich zu strecken“, sagte Verkehrspolitiker Christoph Ploß zu Laura.
Die Fraktion stütze den VDA-Vorschlag „um die angeschlagene Automobilindustrie nicht noch zusätzlich zu belasten“, so Ploß. Der Autoverband hatte gefordert, das Verbrenner-Aus ab 2035 zu kippen, wie wir exklusiv berichtet hatten.
Die Union will „die Bedingungen für Biokraftstoffe und E-Fuels fairer gestalten“, so Ploß. Er fordert, „CO₂-Emissionen über den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs zu bilanzieren“.
Das SPD-geführte Umweltministerium und die verkehrspolitische Sprecherin der Sozialdemokraten, Isabel Cademartori, sehen das anders. Sie interpretiert den Koalitionsvertrag als Bekenntnis zum Verbrennerverbot.
„Zu 100 Prozent muss das [Verbrennerverbot] weg“, fordert dagegen der Arbeitgeberverband Gesamtmetall. „Wir müssen einsehen, dass viele Leute einfach immer noch kein reines Elektrofahrzeug fahren wollen“, sagte Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf zu Romanus.
Wenn die Autoländer „Deutschland, Frankreich, Italien und vielleicht noch Polen gegen das Verbrennerverbot 2035 einsetzen, kann dies Erfolg haben.“
„Wenn ich sage, ich bin technologieoffen, dann kann ich nicht einfach 2035 eine Technologie beenden“, so der Chef des größten Arbeitgeberverbandes.
Kurzes Hoch: Bliebe das Verbrennerverbot 2035, dann „werden wir in der Fahrzeugindustrie 2033 und 2034 eine riesige Sonderkonjunktur haben, weil sich dann sehr viele Menschen noch einmal ein Auto mit Verbrennermotor kaufen“, prophezeite Wolf.
Düstere Prognose: „2035 haben wir in der Autoindustrie dann einen extremen Konjunktureinbruch. Das wäre für die Industrie, den Wohlstand und die Arbeitsplätze verheerend.“
KONJUNKTUR |
DIE INDUSTRIE LEBT AUF. Mehrere Institute und die OECD haben positive Konjunkturprognosen für Deutschland vorgelegt. Konsens für 2025 ist jetzt ein Mini-Wachstum von 0,3 Prozent, berichtet Romanus.
Im ersten Quartal überraschte die Wirtschaft mit starken 0,4 Prozent Wachstum. In der Industrie waren es sogar 1,6 Prozent, stellt das RWI in Essen fest.
Auch die Wertschöpfung der Industrie ist erstmals seit 2023 wieder gestiegen. Das verarbeitende Gewerbe profitiere von höheren Rüstungsausgaben.
Weitere Details gibt es hier.
VERTEIDIGUNGSINDUSTRIE |
SICHERHEIT GEHT VOR: Am 9. Juli sollen sollen BMWE und BMVg dem Kabinett neue Beschaffungsreformen vorlegen, wie unser Kollege Chris Lunday hört.
In diesem Zuge drängt die Industrie auf schnellere Verfahren. In einem Eckpapier der Rüstungsverbände BDSV und BDLI, das POLITICO exklusiv vorliegt, werden konkrete Maßnahmen genannt.
Der Vorstoß zielt auf ein eigenständiges Rüstungsbeschaffungsgesetz ab, das jenseits des allgemeinen Vergaberechts schnelle und einfache Verfahren ermöglicht.
Vorteile für Industriepartner: Ein stärkerer Einsatz von Vorhalteverträgen soll die Lieferfähigkeit der Bundeswehr im Krisenfall absichern. Dabei handelt es sich um Vereinbarungen mit Industriepartnern, die eine schnelle Produktion oder Bereitstellung bestimmter Produkte bei Bedarf ermöglichen.
Das ganze Papier finden Sie hier.
INVESTITIONS-BOOSTER |
NOCH KEIN OK: Michael Kretschmer, sächsischer Ministerpräsident, verlangt beim Investitionspaket Nachverhandlungen. „Die Steuerausfälle von Ländern und Kommunen müssen ausgeglichen werden”, fordert der CDU-Politiker im Gespräch mit Jürgen Klöckner und Tom Schmidtgen.
Optimistisch: Zwei Drittel der Steuerausfälle durch die Sonder-Abschreibungen würde nicht der Bund tragen, sagte Kretschmer. Über die konkreten Maßnahmen werde noch verhandelt. „Ich bin sehr optimistisch, dass wir eine Einigung bis zum 11. Juli erzielen und keinen Vermittlungsausschuss brauchen.“ Am 11. Juli sollen die Länder zustimmen.
Heute verhandelt der Bundesrat erstmals über das Investitionspaket der Bundesregierung. Kommenden Mittwoch treffen sich die Landesfürsten erneut zur Ministerpräsidentenkonferenz – diesmal mit Merz. Sachsen hat den Vorsitz.
Beschluss ist keine Formsache: Die Länder haben Nachverhandlungen verlangt, weil sie die Steuerausfälle nicht tragen wollen. Kommt es zu keiner Einigung, verzögert sich Merz’ Wirtschaftswende.
ZÖLLE |
WARSCHAUER WOCHENENDE: Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses im Europäischen Parlament, will beim Treffen zwischen Abgeordneten des US-Kongresses und des Europäischen Parlaments am 14. und 15. Juni in Warschau die Rechtmäßigkeit der US-Zölle besprechen.
Den Kongress bei der Ehre packen: „Natürlich geht es darum, die ungerechtfertigten Zoll Maßnahmen von Herrn Präsident Trump zu diskutieren“, sagte er unserem Kollegen Gregor Schwung. Vor allem vor dem Hintergrund, dass es juristisch fraglich sei, ob nicht nur der Kongress statt des Präsidenten dazu die Befugnis habe, so Lange.
Parlamentarier unter sich: Der Kongressabgeordnete Nathaniel Moran sagte unserem Kollegen Julius Brinkmann in DC, er freue sich auf den „interparlamentarischen Dialog, bei dem wir daran arbeiten werden, die Beziehungen zwischen der EU und den USA zu stärken”.
PHARMAINDUSTRIE |
DOPPEL-IMPFUNG: Der Impfstoffhersteller Biontech will seinen Konkurrenten Curevac für rund 1,25 Milliarden Dollar (1,08 Milliarden Euro) kaufen, teilten die Unternehmen am Donnerstag mit.
Die Bundesregierung freut sich über die Fusion, „wodurch ein neuer deutscher Biotech-Champion mit beeindruckendem mRNA-Patentportfolio entstehen würde“, sagte eine BMWE-Sprecherin zu Tom Schmidtgen.
Flashback in die Corona-Zeit: Das Ministerium ist über die Kreditanstalt für Wiederaufbau aktuell mit 13 Prozent an Curevac beteiligt. 2020 ist der Bund mit 300 Millionen Euro eingestiegen und hielt damals 23 Prozent.
Die Regierung werde als Anteilseigner kein Veto einlegen. Eine finale Entscheidung „hinsichtlich der Beteiligung der Kreditanstalt für Wiederaufbau am Aktientausch”, sei aber noch nicht getroffen.
USA schauen noch drüber: Allerdings muss die Fusion von der US-Kartellbehörden genehmigt werden. „Die Transaktion ist wettbewerbsfördernd“, sagte ein Sprecher von CureVac unserer Kollegin Francesca Micheletti.
WAS WICHTIG WIRD |
— INFLATION: Das Statistische Bundesamt gibt heute um 8 Uhr die Inflationsrate für Mai und die Insolvenzzahlen für das erste Quartal bekannt.
— WIRTSCHAFTSWENDE: Das Investitionsprogramm der Bundesregierung wird heute im Bundesrat besprochen. Die Länder fürchten 30 Milliarden Euro Steuerausfälle.
— PARKETT: Am Nachmittag trifft sich Finanzminister Lars Klingbeil mit dem Chef der Deutschen Börse Stephan Leithner auf dem Frankfurter Börsenparkett. Thema soll die Bedeutung des Finanzplatzes sein.
— KONJUNKTUR: Um 9 Uhr stellt das DIW seine Konjunkturprognose vor. Eine Stunde früher gibt das Statistische Bundesamt die Großhandelspreise für Mai 2025 bekannt, ein beliebter konjunktureller Frühindikator.
WEITERE NEWS |
— Spionage: China will hat europäische Hersteller nach sensiblen Daten befragt, bevor sie Seltene Erden und Magnete importieren durften. Das chinesische Handelsministerium habe Unternehmen nach Kundenlisten und Produktionsdetails gefragt, berichtet die Financial Times. Nur wer „vertrauliche Informationen“ teile, erhalte Exportgenehmigungen, so Frank Eckard, Geschäftsführer des deutschen Magnetherstellers Magnosphere.
— Russisches Gas: Die EU-Kommission will per Gesetze alle Gasimporte aus Russland bis Ende 2027 verbieten. Einen entsprechenden Vorschlag soll bereits am Dienstag eingebracht werden, wie das Handelsblatt berichtet. In diesem Zuge soll vorbereitet werden, dass Flüssigerdgas (LNG) aus den USA importiert werden kann. Der Vorschlag kann angenommen werden, auch wenn nicht alle EU-Staaten zustimmen.
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